Ein mysteriöses Tier treibt Australien um
Millionär werden mit dem «Tasmanischen Tiger»

Der «Tasmanische Tiger», keine Raubkatze, sondern einst das grösste fleischfressende Beuteltier, gilt seit dem Tod des letzten in einem Zoo gehaltenen Exemplars 1936 als ausgestorben. Doch die Hoffnung, dass es den «Tiger» im Urwald Tasmaniens immer noch gibt, lebt weiter. Mit einem Beweis kann man nun gar Millionär werden.

Es war ein sensationelles Bild, das vor einiger Zeit im «Sydney Morning Herald» abgedruckt war: Durch Farne dicht wie das Unterholz eines Waldes schleicht ein Tier, von dem, etwas verwischt, der grössere Teil von Rumpf und Kopf zu sehen ist und namentlich die Partie von Rücken und Hinterteil, die das charakteristische Streifenmuster trägt. Ein Bild des geheimnisumwobenen «Tasmanischen Tigers», des Tiers, das seit dem Tod des letzten bekannten Exemplars in einem Zoo 1936 wahrscheinlich als ausgestorben gilt?

 

Verwandter von «Teufeln»

Eine Raubkatze ist der «Tasmanische Tiger» nicht. Seinen Namen hat das Tier von der Grösse eines Wolfes wegen der charakteristischen Streifen, die den hinteren Teil seines Rumpfes zieren. Doch war der «Tiger» seinerzeit immerhin das grösste fleischfressende Beuteltier, und als solches jagte er den weissen Siedlern auf Australiens grösster Insel immer noch einen gehörigen Schrecken ein. Sein kleinerer Cousin ist der heute noch lebende, aber inzwischen von einer rätselhaften Krankheit bedrohte «Tasmanische Teufel», dessen furchterregendes Kreischen und Heulen, wenn er um Beute kämpft, seinem Namen alle Ehre macht. Der «Tiger» soll aber sowohl akustisch als auch überhaupt im Charakter zurückhaltender, ja geradezu scheu gewesen sein.

Dennoch wurde 1830 von der Verwaltung Tasmaniens ein Kopfgeld auf das Raubtier ausgesetzt; eine Politik, die dem Thylacinus cynocephalus (so sein wissenschaftlicher Name) innerhalb von hundert Jahren den Garaus machen sollte. Umso ironischer mutet es an, dass es nun wiederum ein Kopfgeld ist, mit dem zur Beweisführung angestachelt wird, dass es den «Tasmanischen Tiger» doch noch gibt. Denn dass er trotz allem existiert, das ist die Hoffnung der romantischen Seele vieler australischer Tierfreunde. Sie gründet auf rund 4000 angeblichen Sichtungen in den letzten 70 Jahren.

 

Eine verzwickte Aufgabe

Das Nachrichtenmagazin «The Bulletin» will es nun genau wissen. Es setzte einen Preis von umgerechnet gut einer Million Franken aus für den Nachweis der Existenz des Tiers bis Ende Juni. Wem das als verlockend genug erscheint, um mit Feldstecher und Kamera bewehrt ins nächste Flugzeug nach Tasmanien zu steigen, dem sei allerdings abgeraten. Denn das Kleingedruckte, das die Bedingungen für die Zuerkennung des Preises nennt, füllt mehrere Seiten. Es muss sich um ein reinrassiges, erwachsenes Tier aus natürlicher Fortpflanzung handeln, das lebendig und unverletzt ist und zur Zeit der Ausschreibung des Wettbewerbs nicht in Gefangenschaft lebte. Beigebracht werden muss nicht nur Bildmaterial, bestehend aus zwei digitalen Bildern sowie zwei Videosequenzen, die das Tier in Bewegung zeigen, sondern auch gleich ein «Tiger» selbst in Fleisch und Blut samt einer Beurteilung durch einen Veterinärmediziner.

Nur schon deshalb hätte der Fotograf des eingangs erwähnten Bildes im «Sydney Morning Herald» keinen Anspruch auf den Preis. Dieser war im Übrigen auch gar nicht sein Ziel. Vielmehr wollte er demonstrieren, wie einfach es ist, eine «Tiger»-Sichtung vorzutäuschen. Das Tier hatte er aus einem vergrösserten und handkolorierten Abzug einer historischen Schwarzweissfotografie eines «Tigers» fabriziert, auf Pappe aufgezogen, in die Farne seines Vorgartens gestellt und kunstvoll genug abgelichtet, um eine überzeugende Illusion zu kreieren. Dass es jemandem überhaupt gelingen wird, die Million zu ergattern, ist angesichts des verlangten Beweismaterials sehr zu bezweifeln. Und es gibt noch ein weiteres Hindernis: Die Regeln verlangen, dass sich alles im Rahmen des Gesetzes abspielt. Nach Ansicht der tasmanischen Regierung bedingt dies die Beantragung einer Genehmigung für das Einfangen eines Tiers – und man denke nicht einmal daran, solche Genehmigungen zu erteilen.

 

Gefahren der Wildnis

Das Bemühen der Behörden, Leute, die dem Lockruf der «Tiger-Million» in die tasmanischen Wälder folgen wollen, von solchem Tun abzuhalten, ist nachvollziehbar. Tasmanien mag bei Festland-Australiern die Erinnerung an eindrückliche, naturnahe Erlebnisferien wecken und für Ausländer eine noch viel weiter entfernte und damit romantisch verklärte Wildnis darstellen, doch zu spassen ist mit der Natur dort nicht. Die Zivilisation hört am Rand der Städte und Dörfer auf. Dort, wo man den «Tasmanischen Tiger» vielleicht noch finden könnte, erstreckt sich über Hunderte von Quadratkilometern Urwald ohne Dörfer, Strassen oder Telefonkabinen, von einem Mobiltelefonnetz ganz zu schweigen. In solcher Umgebung muss man sich bewegen können, will man nicht zugrunde gehen.

Nicht zuletzt könnten die Amateur-Jäger in ihrem Bemühen, der Welt den Beweis über die Existenz des «Tasmanischen Tigers» zu erbringen, nicht nur diesen, sondern weitere Teile der Tierwelt schädigen. Denn wie soll ein Thylacinus gefangen werden können, ohne dass man ihm Fallen stellt? Wie sicherstellen, dass ein Tier, sollte es in eine Falle gehen, nicht einem «Gefangenschafts-Schock» erliegt, wie es beim «Tiger» früher offenbar wiederholt der Fall war? Und wie verhindert man, dass andere Tiere in solche Fallen tappen? Solche Fragen beunruhigen die professionellen Umweltschützer in Tasmanien. Und mehr als ein Skeptiker dürfte zur Ansicht gekommen sein, dass die Übung des «Bulletins» wohl mehr zur Pflege der Auflage als der tasmanischen Tierwelt dienen soll.

Quelle: http://www.nzz.ch/2005/05/02/vm/articleCR8MF.html