Australien Cricket

Hüpfende Kängurus und faule Koalas, rote Wüste, weiße Strände und klares Wasser, Bier, Barbecue, Boardshorts und Surfboards: das alles sind klare Favoriten, wenn es um Assoziation mit dem Wort Australien geht. All diese Dinge oder Bilder sind eng mit etwaigen Erfahrungen verbunden, die wir als junge Menschen in Down Under gemacht haben. Sie sind Teil dessen, was für uns den Begriff australisch definiert. Das liegt aber auch teilweise daran, dass wir, mit einem meistens zeitlich limitierten Einblick, eher gewillt sind, die positiven Seiten des Landes in Erinnerung zu behalten. So viele von denen, die schon einmal hier waren, wollen wieder zurück. Und das nicht nur, weil sie romantische Träumer sind die lieber faulenzen als schaffen, sondern, weil Land und Leute in ihnen etwas bewegt haben. Ich kann das gut verstehen.

Nach einer Weile merkt man, dass Australien kein überirdisches Paradies ist. Auch hier muss man arbeiten um zu überleben. Die Bürokratie kann für manche eine schwere Bürde werden und nach und nach erkennt und erfährt man auch negative Aspekte. Haie, Hitzewellen und Stromausfälle zum Beispiel. Dieser Prozess ist allerdings völlig normal und schmälert (für alle die nicht gerade zufällig von einem großen weißen Hai gefressen wurden) nicht den sympathischen und warm-freundlichen Vibe Australiens, in den sich schon so viele verliebt haben.

Aber für jeden, der vielleicht ernsthaft nachdenkt, eine gewisse Zeit seines Lebens Down Under zu verbringen, der dort unten vielleicht Arbeit oder Liebe gefunden hat und es nicht eilig hat nach Hause zurück zu kehren, der sollte jetzt weiterlesen, denn es unter der unschuldigen, sonnigen Oberfläche Australiens verbirgt sich ein bizarrer Brauch, ein Rasen-Kult, der Aussies jeden Alters in seinen unheimlich, undurchsichtigen Bann zieht. Für uns Nordeuropäer schwer zu begreifen, ist dieser Brauch vielleicht schon im Genmaterial der australischen Männer und Frauen verankert und aus dem Land niemals, nicht in einer Milliarde Jahre, wegzudenken. Legt am besten Papier, Bleistift, Gameboy oder alles andere mit dem ihr euch in den nächsten fünf Tagen beschäftigen wolltet beiseite. Wir reden über Cricket.

Populäre Sportart?

Wenn man Wikipedia glauben darf (und das tue ich schon längst nicht mehr so ohne weiteres) dann handelt es sich bei der Sportart, deren Name schon klingt wie ein komplizierter Unterarmbruch, um die zweit populärste der Welt, nach dem Nationalsport der Deutschen, dem gloriosen Fußball. Tatsächlich hat der International Cricket Council, mit dem Hauptsitz in Dubai, eine offizielle Mitgliederliste von einhundertvier Nationen und das sind schon eine ganze Menge. Aber schon mit den eingetragenen Mitgliedern endet der Vergleich mit der beliebtesten Sportart der Welt, denn anders als Fußball, das sowohl Arm als auch Reich begeistert und mit seinen vielen internationalen Veranstaltungen schon völkerverbindende Qualitäten aufweist, ist Cricket äußerst elitär.

Man betrachte nur die Mitgliedsstaaten des ICC. Nur zehn von ihnen, also weniger als 10 % dürfen die populärste Variante des Sportes, das Test-Match, überhaupt offiziell gegeneinander austragen. Das Test-Match ist absoluter Marathon-Sport. Ein Spiel kann bis zu fünf Tagen andauern und danach nicht einmal einen Sieger hervorbringen. Da zu diesen zehn Nationen aber auch Indien gehört, wo ich, da Cricket dort schon eine Art Religion geworden ist, alleine für das Schreiben dieses Artikels um mein Leben fürchten müsste, und Indien das bevölkerungsreichste Land auf unserem Globus ist, kann man den Wikipedia-Eintrag verstehen, der meines Erachtens aber zu falschen Annahmen verleitet.Aber vielleicht ist es sinnvoll, die Regeln dieses ominösen Sportes dem unschuldigen Deutschen Touristen etwas näher zu bringen.

Die Regeln

Ein Cricket Match wird zwischen zwei Mannschaften mit elf Spielern auf einem größenvariablen Feld ausgetragen. Der Untergrund auf dem gespielt wird ist immer eine Grasfläche, die von Platzwärtern speziell gepflegt wird. Eine Feldlänge von 130 bis 150 Metern ist üblich. Die Kanten des Spielfelds werden Boundaries genannt und haben immer eine spezielle Markierung, entweder durch Farbstreifen, gespannte Seile oder eine niedrige Plastikbarriere. Die offiziellen Cricketregeln spezifizieren keine besondere Form des Spielfelds, aber oft haben die Felder eine ovale Form. Das Stadion in Perth wird daher auch Perth Oval genannt.

Das Ziel beider Teams ist mehr Runs als das andere Team zu erzielen und gleichzeitig das andere Team komplett auszuwerfen. Wie das im speziellen funktioniert wird später erläutert. Nur schon mal vorweg: ein kleiner Ball und ein Schläger der wie eine Mischung aus Baseballschläger und Paddel aussieht werden benötigt. Die beiden Ziele sind aber nicht für jede Form des Cricket gleicht. Beim Twenty20, der jüngsten Variante, sind nur die erzielten Runs wichtig, und nicht das Auswerfen des gegnerischen Teams. Beim traditionellen Testmatch dagegen müssen beide Bedingungen erfüllt werden. Selbst ein haushoher Vorsprung in den Runs kann ansonsten zu einem Unentschieden führen. Also einfach Tor schießen und gewinnen ist hier nicht drin.

Bevor das Spiel losgeht wird durch einen Münzwurf entschieden, welche der beiden Mannschaften zuerst schlägt (battet) oder zuerst wirft (bowlt). Die Entscheidung wird aufgrund taktischer Voraussetzungen getroffen. Zustand des Rasens, Witterungsbedingungen und Team-Aufstellung werden dabei beachtet. Das klingt zwar vielleicht ein bisschen nach larifari, kann aber tatsächlich spielentscheidend sein. Der Teil des Feldes in dem dann die meiste Action passiert, wird Pitch genannt. Der Pitch befindet sich in der Mitte des Cricketfeldes und wird durch zwei merkwürdige Holzkonstruktionen an beiden Enden begrenzt. Diese beiden kleinen Holzgerüste werden Wickets genannt: drei beinlange Holzstangen auf denen zwei kleinere Holzstäbchen querliegen. Vor diesen beiden Wickets steht jeweils ein Spieler des Teams das gerade schlägt. Die Mitspieler stehen sich also im Pitch gegenüber mit Blick auf den anderen Spieler und nicht nach außen ins Feld. Dort draußen stehen neun Fänger des anderen Teams (scheinbar) wahllos verteilt.
Die restlichen beiden Spieler des Werferteams stehen an beiden Enden des Pitches und werfen den kleinen, aber verdammt harten Cricketball über den Pitch in Richtung des gegenüberliegenden Schlägers. In Wirklichkeit wollen sie aber das Wicket, das vom Schläger blockiert wird, treffen, um die beiden kleinen Holzstückchen von den drei Holzstangen zu werfen. Der Schläger will das verhindern und den kleinen Ball mit seinem paddelartigen Cricketbat möglichst weit wegknüppeln. Hieran lässt sich das Punktesystem rudimentär erläutern: Runs werden vom Team erzielt das gerade schlägt. Der Striker rennt, nachdem er den Ball getroffen hat über den Pitch zum anderen Wicket. Der andere Striker (da er den Ball nicht schlägt wird er sinnigerweise als Non-Striker tituliert) muss das ebenso machen und rennt daher ebenfalls über den Pitch. Kommen beide Striker bei ihrem Wicket an, ohne das der Ball entweder in der Luft gefangen oder der Ball vom Wicketkeeper (ein Spieler des Werferteams, der das Wicket bewacht auf das gebowlt wird) dazu benutzt wurde die Holzstäbchen von den Balken zu werfen, dann hat das Team einen Run erzielt. Das Werferteam wiederum versucht durch die eben genannten Spielzüge die Spieler des anderen Teams auszuwerfen.
Wurde im Verlauf des Spiels nun eine Mannschaft von der anderen zweimal komplett ausgeworfen die gleichzeitig auch noch mehr Runs erzielt hat, dann ist das Spiel vorbei und gewonnen. Bei Testmatches kann dieser Prozess, sollte er denn stattfinden, fünf volle Tage andauern. One Day Internationals brauchen nur einen Tag dafür und die neuen Twenty20s sogar nur zwei Stunden.
Das klingt alles noch verständlich und nachvollziehbar, aber leider ist das nur der grobe Spielverlauf. Mit den Regeln ins Detail zu gehen ist hier und jetzt ein wenig unsinnig und würde wahrscheinlich in einen 25.000 Wörter Artikel ausarten. Die eigentliche Anomalie dieses von den Australiern so geliebten Ballsportes steckt aber nicht in dem verworrenen Regelwerk von „Leg before Wicket“, „Limited Over“ und anderen bizarren Spielzügen und Ausnahmen. Das Verrückte und Unverständliche liegt in der Zeit die dafür in Anspruch genommen wird.

Hendrik beim Cricket

Um halb Elf Uhr morgens fahre ich mit meiner Freundin (sie in Australientrikot) mit dem Bus in die Stadt. Das One Day International Australien gegen Pakistan wird um 12 Uhr angepfiffen, obwohl ich das wahrscheinlich gar nicht sagen darf, denn ein Pfiff bleibt aus. Das Stadion ist ziemlich voll, denn das Spiel ist anscheinend ein gutes.

Aufgrund der limitierten Anzahl der Teams, welche die wichtigen oder prestigeträchtigen Spiele austragen dürfen, spielen die Teams nicht einmal gegeneinander, sondern tragen innerhalb einer Woche gleich fünf Partien gegeneinander aus. Die werden dann auch alle zusammengerechnet. Das heißt auch, dass, sollte ein Team die ersten drei Matches gewinnen, das andere Team überhaupt keine Chance hat in den letzten beiden Spielen auch nur einen Blumentopf zu gewinnen.

Wie es der Zufall so will, ist das Spiel zu dem ich gehe Spiel Numero 4 und, na klar, Australien hat die ersten drei Partien klar für sich entschieden. Meine Begeisterung erhält nach Einholen dieser Information ihren ersten Dämpfer. Die armen Jungs aus Pakistan können sich noch so anstrengen, Australien wird diese Serie gewinnen. Ich stelle mir Philipp Kohlschreiber vor, der die ersten drei Sätze gegen Roger Federer verliert und trotzdem Satz vier und fünf spielen muss. Egal, jetzt sind wir angekommen und nehmen im Perth Oval Platz. Die Zeit bis zum Beginn nutzt meine Freundin um mir diverse Feinheiten des Spiels zu erläutern die ich nur vage begreife. Wenn der Schiedsrichter (im Cricket Umpire genannt) eine Hand über seinem Kopf hin und her schwingt wie ein Cowboy beim Rodeo dann ist das also das Zeichen für ein Powerplay?

Die Temperatur steigt an als High Noon die Spieler das Feld betreten. Ich sitze in einer unbequemen Plastikschale ohne Lehne aber immerhin im Schatten. Wo sich im Fußballstadion Nord- und Südtribüne befinden, ist in vielen Cricketstadien ein grüner Grashang, so auch hier. Dort aalen sich die Hardcorefans bei 39 Grad in der prallen Sonne und trinken ein Hahns Extra Dry nach dem anderen. Das Spiel beginnt und Australien battet zuerst. Aber ein progressiver Spielverlauf ist für den Nordeuropäer schwer zu erkennen. Wenn nämlich der Ball vom werfenden Team gefangen wird, nachdem er den Boden berührt hat, die Zeit aber nicht ausreichte um einen Run zu erzielen, dann passiert überhaupt nichts. Ich wünsche mir die Bases eines Baseballspiels herbei während das Spiel vor sich hin kriecht.

Der Gentleman neben mir inhaliert gerade das xte Glas Cola-Bourbon und ich verlasse meine Plastikschale um Hotdogs und Bier zu besorgen. Das Spiel dauert mittlerweile zwei Stunden. Die Snacks werden konsumiert während Australien einen Run nach dem anderen erzielt. Scheint ein weiterer mieser Tag für Team Pakistan zu werden. Mein Shirt klebt an mir und das Publikum fängt an zu johlen. Unerfahren wie ich bin suche ich die Ursache auf dem Feld, wo aber nichts geschieht.

Erst dann bemerke ich, dass die allgemeine Freude von einem alkoholisierten Fan auf dem Rasen entfacht wurde, der wohl ein wenig zu laut geworden ist und jetzt von zwei Sicherheitsleuten nach draußen geleitet wird. Noch eine Stunde. Australien erzielt weitere Runs. Noch eine Stunde. Es ist vier Uhr nachmittags und die Spieler gehen in die Kabine. Aber das Spiel ist alles andere als zu ende. „Die machen jetzt Teepause,“ informiert mich meine Freundin. „Dauert circa ne halbe Stunde, aber danach geht’s weiter.“ Nicht für mich.

Noch viereinhalb Stunden halte ich nicht durch, dafür bin ich nicht gemacht. Ich lasse das Mädchen mit dem Australien-Jersey alleine zurück und mache mich auf den Heimweg. Viel später am Abend erzählt sie mir dann von all der Action, die ich Ignorant im zweiten Inning verpasst habe. Sogar ein Flitzer war auf dem Feld unterwegs und konnte erst nach einer Minute von den Ordnern entfernt werden.

Es gibt eine berühmte Reihe von Fernsehwerbungen der Commonwealth Bank. Darin berät ein amerikanischer Mediengestalter das australische Cricketteam um den Sport populärer zu machen. „Is it boring?“ fragt er in die Runde entgeisterter Cricket-Officials, „Do we need to add something?“ Mir ist klar, das die Werbung ein Scherz ist. Aber nach meiner neu gewonnenen Erfahrung aus erster Hand verliert dieser clevere Werbespot ein wenig an Ironie.